Fabrikation in 3D: die disruptive Kraft generativer Fertigungsverfahren

Fabrikation in 3D: die disruptive Kraft generativer Fertigungsverfahren
21. Jul. 2016 | von V. Georgieva

Heute setzen wir unsere Serie von Blogeinträgen zum Thema Industrie 4.0 fort. Wenn Sie die bisherigen Einträge dieser Serie noch nicht gelesen haben, können Sie das hier, hier oder hier tun.

Es gibt noch eine weitere, oft unterschätzte Technologie, die unter dem Sammelbegriff Industrie 4.0 fällt, bei der die digital-physikalische Grenze ganz unmittelbar und radikal durchbrochen wird: der 3D-Druck (auch bekannt unter dem englischen Terminus „additive manufacturing“ oder dem deutschen Begriff „generative Fertigung[sverfahren]“). Zunächst hat man dies als eine ausgefallene Art, zu Hause hübsche Figuren von uns selbst zu erstellen, betrachtet. Aber inzwischen hat sich gezeigt, dass das Potenzial von 3D-Druck weit mehr beinhaltet. Schon 2011 erläuterte der Economist: „Dreidimensiona-ler Druck macht die Herstellung eines einzelnen (Ersatz-)Teils so kostengünstig wie die Herstellung von tausenden von Stückzahlen, und es unterminiert damit auch die bisher gültigen Vorteile einer Massenproduktion. Die Auswirkungen dieser Innovation auf die Welt könnte so tiefgreifend sein wie das Aufkommen der Fabrik … Es ist nahezu unmög-lich, die langfristigen Auswirkungen des 3D-Drucks vorherzusehen. Jedenfalls ist diese Technologie da, um zu bleiben, und sie wird wahrscheinlich jeden Bereich verändern, der davon betroffen ist.“

Heute haben wir bereits ein viel klareres Bild davon, wie der 3D-Druck den Fertigungs-prozess transformieren wird. Die schnelle Herstellung von Prototypen war eine erste industrielle Anwendung des 3D-Drucks, wobei die Vorlaufzeit und die Entwicklungskos-ten für die Prototypen neuer Teile und Objekte reduziert werden konnte. Aber dabei ist man nicht stehengeblieben. Inzwischen druckt Nike 3D-Stollenschuhe für Fußball und American Football; Hasbro plant die Schaffung einer Reihe von „Selbstdruck-Spielzeugen“ für Kinder. General Electic verwendet das 3D-Verfahren, um Ersatzteile für eigene Turbinen und Benzintankpistolen zu drucken. Boeing druckt 3D-Ersatzteile für Flugzeuge wie den 787 Dreamliner, der bereits 30 auf diese Weise gedruckte Teile enthält. Auch Airbus steht bereit, im 3D-Verfahren hergestellte Teile für seine Flugzeuge einzusetzen.

Aber bevor Sie nun versucht sind zu glauben, 3D-Verfahren würden nur für bestimmte Nischenbereiche eingesetzt: Das ist keineswegs der Fall. Das Forschungsunternehmen Gartner sagt voraus, dass schon im Jahr 2018 50% der Hersteller von Konsumgütern, Schwergütern und Biogütern (Pharmaindustrie, medizinische Industrie etc.) 3D-Verfahren nutzen wird, um (Ersatz-)Teile herzustellen, die sie konsumieren, verkaufen oder warten. Vorhersagen für die 3D-Druckindustrie sind ebenso kühn. Nach dem Wohlers-Report von 2014 wird erwartet, dass die Umsätze der weltweiten 3D-Druckindustrie von 3,07 Mrd. Dollar für 2013 bis auf 12,8 Mrd. Dollar im Jahr 2018 stei-gen werden und im Jahr 2010 sogar die 21-Mrd.-Dollar-Grenze übertreffen soll. Der Wohlers-Report vom Vorjahr (2013) hatte für die 3D-Industrie noch ein Anwachsen bis 2021 auf 10,8 Mrd. Dollar vorhergesagt. Innerhalb eines einzigen Jahres haben sich die hochgerechneten Zahlen also mehr als verdoppelt.

Der transformative Einfluss des 3D-Drucks auf die Industrie ist tiefgreifend. Ein Artikel von SAP hat kürzlich 6 Hauptvorteile des 3D-Drucks für die Fertigung aufgelistet:

  1. 3D-Druck wird den Innovations- und Produktionszyklus beschleunigen. Prototypen können mit Hilfe von 3D-Druckern schneller und billiger erstellt werden; und zudem können dieselben 3D-Drucker auch unterschiedliche (Ersatz-)Teile herstellen, indem verschiedene 3D-Designs hochgeladen und Ausgangsmaterialien verwendet werden. Beispielsweise würde Airbus durch den Einsatz von 3D-Teilen 90% weniger Energie und 95% weniger Rohmaterialien verbrauchen und könnte auf diese Weise Komponenten konsolidieren und auf Fertigungsmaterialien verzichten, was die Zahl der Produktionsstufen halbieren würde.
  2. Die Hindernisse für den Einstieg in diese Technologie verringern sich zudem, weil dieselbe Maschine eingesetzt werden kann, um unterschiedlichste Teile herzustellen.
  3. Der 3D-Druck wird neue Modelle für Produktion und Vertrieb schaffen. Hersteller könnten die Produktion in die Nähe ihrer Kunden verlegen und angemessener auf deren Erfordernisse reagieren, indem sie die Produktion auf lokale 3D-Zentren (3D printing hubs) verteilen bzw. an diese outsourcen. Und weil 3D-Drucker auch überall schon von den Konsumenten eingesetzt werden, könnten manche physischen Teile in virtuelle Güter verwandelt werden, sodass nicht mehr die realen Teile, sondern nur noch deren 3D-Designs verkauft werden.
  4. Qualität und Geschwindigkeit der Fertigung werden sich verbessern. Bei Airbus könnten komplexe Designs erstellt werden, die zuvor überhaupt nicht möglich waren, etwa leichtgewichtige Flügelstrukturen nach Art natürlicher Muster von Wasserrosen am Amazonas. Hinzu kommt, dass 3D-gedruckte Flugwerkteile rund 55% leichter, aber gleichwohl stärker wären als traditionelle Teile.
  5. Die Erfordernisse für die Lagerhaltung werden minimiert, weil kleine Mengen von Ersatzteilen ganz nach Bedarf („on demand“) hergestellt werden können. Nach Mark Cotteleer, Forschungsleiter von Deloitte Services, „haben die Hersteller derzeit Bestände im Wert von zehn- oder hunderttausenden von Millionen Dollar in ihren Lagern. 3D-Druck könnte dazu verwendet werden, diese Lager-bestände in den nächsten 5 bis 15 Jahren abzubauen.“

„Generative (additive) Fertigungstechnologie könnte durchaus größere Auswirkungen auf die verarbeitende Industrie haben als jede andere Technologie“, schreibt der Analyst und Berater Terry Wohlers im Wohlers Report 2014.

Ob durch Evolution oder Revolution, Industrie 4.0 wird die Fertigungsindustrie in vieler Hinsicht verändern. Während einige Technologien – wie intelligente Analysemethoden – die Produktion und Wartung weiter verfeinern werden, dürften andere – wie der 3D-Druck – alte Modelle obsolet machen und neue Modelle erfordern. Die heutigen Zeiten des Wandels sind aufregend und voller neuer Möglichkeiten, aber wir müssen uns auch vergegenwärtigen, dass die Fertigungsindustrie vor großen Herausforderungen steht. Und das wird das Thema des nächsten Artikels sein.

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